Health Claims auf Lebensmittel-Verpackungen (“Der Verzehr dieser Margarine senkt den Cholesterin-Spiegel”) sind bei Verbrauchern und Produzenten gleichermaßen beliebt: den ersteren geben sie ein gutes Gewissen und den letzteren beträchtliche Zusatzumsätze. In den letzten 10 Jahren kamen in den USA immer mehr Produkte auf den Markt, die bestimmte Gesundheitseffekte der Zutaten ausloben. Allerdings sind europäischen wie auch amerikanischen Herstellern zunehmend enge Grenzen gesetzt und auf beiden Seiten herrscht nach wie vor Unklarkeit welche Werbaussagen nun zulässig sind und welche nicht.
USA
FDA kontrolliert stärker
Anfang März dieses Jahres schob die US-Lebensmittelbehörde FDA (Food & Drug Administration) einen Riegel vor die Art und den Umfang von Health Claims: 17 Unternehmen bekamen Warnbriefe und müssen jetzt ihre Verpackungen umgestalten. Die FDA fand der Nährwert von Produkten werde übertrieben, oder ungesunde Fette maskiert. Unter den Adressaten waren Gerber Babynahrung, Juicy Juice, Dreyer’s Eiskrem (alles Nestlé-Firmen), POM Granatapfelsaft sowie Gorton’s Fisch-Filets (siehe http://www.fda.gov/Food/ LabelingNutrition/ucm202859.htm)
Claims sind erlaubt
In den USA werden seit 1993 für bestimmte Lebensmittel Aussagen “zur Reduktion von Krankheitsrisiken” zugelassen. Gezielte Gesundheitsaussagen werden von der FDA auf Basis von “vollständigen, öffentlich verfügbaren wissenschaftlichen Beweisen und dort, wo signifikante Aussagen durch Beweise qualifizierter Experten durch wissenschaftliche Übereinstimmung unterstützt werden”, genehmigt. Feststellungen zu nährwertbezogenen Angaben können laut FDA auch auf “zuverlässigen Aussagen” des Federal Scientific Body sowohl des National Institute of Health und der Centers for Disease Control and Prevention als auch der National Academy of Sciences – basieren.
Das Etikettengesetz von 1993 (NLEA ) nennt die Mengenvorgaben, ab wann ein Produkt beispielsweise als „gute Quelle für Vitamin C” genannt werden darf. Die FDA gibt den Herstellern sogar Beispiele (FDA Health Claims Guidance 2008) vor, wie Claims gemacht werden sollten.
Durch den FDA Modernization Act (FDAMA) von 1997 ist ein weiterer Index entstanden. Dieser weist auf die Gefahr von zu kaliumhaltiger Ernährung und Herzschlag sowie auf die Vorteile einer Vollwert-Ernährung hin.
In einem weiteren Schritt etablierte die FDA 2003 eine Initiative, die in so genannten „Qualified health claims” und einer weiteren Aufstellung mündete. Hiernach dürfen auch vorsichtig formulierte Behauptungen aufgestellt werden, zu denen noch keinen abschließende wissenschaftliche Meinung vorliegt. In dieser Liste tummeln sich Phospholipide wie Phosphatidylserin, das den Verlauf der Alzheimer-Krankheit verlangsamt und bereits als Getränkezusatz eingesetzt wird, aber auch diverse Nüsse, die gegen Herzerkrankungen helfen sollen. Sie erstreckt sich von Kalzium und Osteoporose, über Folsäure und embryonale Neuralrohrdefekte, dem bekannten Effekt von Natrium auf den Bluthochdruck bis hin zu den positiven Eigenschaften von Soja-Proteinen bei koronalen Herzerkrankungen.
Kein Claim zur Risikominimierung
Ob durch Expertisen abgesichert oder nicht: in den USA dürfen Packungsangaben keinen Hinweise auf den Grad der Risikominimierung von Krankheiten geben. Und ein simples Zusammenpanschen von ein paar Ingredienzien reicht auch nicht aus, um den Segen der FDA zu erhalten. Die Lebensmittel müssen zusätzlich mindestens 10% der Tagesration von einem oder mehr sechs wichtiger Nährstoffe (Vitamin A, Vitamin C, Eisen, Kalzium, Protein, Ballaststoffe) enthalten, die nicht angereichert sein dürfen. Zudem sind Grenzen bei gesättigten Fettsäuren, Cholesterin und Natrium einzuhalten. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, daß nur um die 5% aller Verpackungen in den USA Health Claims enthalten.
Europa
Health Claims in Europa
Auch in Europa darf neben den funktional-strukturellen Angaben auch auf gesundheitliche Vorteile hinweisen. „Vitamin A fördert gesunde Augen” ist ein Beispiel, „Protein baut Ihre Muskeln auf” ein anderes. Die 2007 eingeführte EU-Health ClaimsVerordnung scheint deutlich an den NLEA angelehnt. Jedoch muss ein vollständiger Katalog mit den wissenschaftlich zurzeit nachgewiesenen Zusammenhängen zwischen Krankheitsvermeidung durch spezifische Inhaltsstoffe in Lebensmitteln (zu finden hier) noch vervollständigt werden.
EFSA Liste
Kontrollbehörde für die europäische Lebensmittelindustrie ist die die Europäische Behördefür Lebensmittelsicherheit EFSA. Grundlage für die Überprüfung von Health Claims ist die Verordnung EG Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. Seit dem sind Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in der Werbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln, einschließlich Nahrungsergänzungsmittel, nur noch zulässig, wenn sie durch die “Health-Claims-Verordnung” ausdrücklich zugelassen sind. Ist eine Angabe (z.B. Werbeaussage) nicht zugelassen, darf sie nicht verwendet werden. Zulässig ist nur, was durch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen ist.
Auf dem europäischen Markt sind gesundheitsbezogene Aussagen wie “stärkt die Abwehrkräfte”, “cholesterinsenkend” oder “unterstützt die Gelenkfunktionen” nur dann zulässig, wenn sie in der “allgemeinen Claims-Liste” der EFSA aufgeführt und damit für ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat zugelassen sind.
Allerdings ist diese Positivliste noch nicht fertig gestellt: Ihre Veröffentlichung war ursprünglich für den 31.01.2010 vorgesehen. Dieser Zeitplan ist längst überholt. Nach der Veröffentlichung von ersten Gutachten durch die EFSA im Oktober 2009 und Februar 2010 ist nun mit einem Veröffentlichungstermin vielleicht im Oktober 2010 oder später zu rechnen. Eine Sprecherin der EU-Kommission zum Thema: “Nun wird es wohl bis 2011 dauern.” (Quelle: Spiegel Online, 12.02.2010).
Branchenkenner sehen den Grund darin, dass die EFSA mit den vielen von der europäischen Industrie eingereichten Claim-Anträgen (über 40.000) überfordert ist. Zwar hat die Europäische Kommission die Liste mittlerweile auf ein Zehntel zusammengekürzt, doch sie umfasst immer noch über 4.000 Claims mit “gesundheitsbezogenen Angaben zu allgemeinen Funktionen”, wie etwa “Kalzium ist gut für Ihre Knochen”. Die muss die EFSA alle prüfen. Knapp 1.000 Anträge sind in der öffentlich einsehbaren Liste erst bearbeitet.
Doch damit nicht genug. Hersteller sollen auch mit individuell zugeschnittenen Gesundheitsanträgen werben dürfen. Dazu müssen aber umfangreiche wissenschaftliche Nachweise eingereicht werden, die die EFSA prüft. Auf Basis ihrer wissenschaftlichen Bewertung entscheidet dann die Europäische Kommission, ob der Health Claim genehmigt wird oder nicht.
Bei den individuellen Claims waren die Lebensmittelkonzerne weitaus zurückhaltender. Rund 280 Anträge wurden bisher eingereicht, etwa 80 davon sind bearbeitet, so die EU-Sprecherin. Die meisten davon wurden abgelehnt – so fand die EFSA keinerlei wissenschaftlichen Belege dafür, dass Kinderschokolade beim Wachsen hilft, Cranberry-Saft das Risiko von Blasenentzündungen vermindert oder schwarzer Tee die Konzentrationsfähigkeit steigert. Die wenigen autorisierten Claims hingegen klingen eher banal: Omega-3-Fettsäuren sind wichtig für die Kindesentwicklung. Kalzium, Vitamin D und Phosphor braucht man für den Knochenaufbau.
Einige Konzerne haben ihre Anträge allerdings gleich wieder zurückgezogen. Zum Beispiel Danone: Der Konzern wollte auch in Zukunft seinen Joghurt-Drink Actimel damit bewerben, dass er die “Abwehrkräfte aktiviert”. Im April 2009 hatte Danone den entsprechenden Antrag auf diesen Health Claim eingereicht, ihn jedoch später wieder zurückgezogen. Die Konzerne fürchten eine Abfuhr, denn das gesamte Antragsverfahren mit den Bewertungen der EFSA und dem abschließenden Urteil der Kommission ist öffentlich im Internet einsehbar. Von den hohen Kosten für die wissenschaftlichen Dossiers ganz abgesehen. Die können, je nachdem, welche und wie viele klinische Studien dazu durchgeführt wurden, durchaus bei mehreren Millionen Euro liegen. Ein negativer Bescheid kann somit das Image und den Geldbeutel empfindlich schädigen.
Gemeinsame Plattform?
Es gibt nach wie vor keine gemeinsame Plattform für die Regulierung von Health Claims zwischen den USA und der Europäischen Union und einige Verbände sehen die derzeitigen EU Verordnungen als Hendleshemmnis (Alliance for Natural Health). Doch zumindestens reden die zwei Handelsblöcke über das Thema: am 23. Februar trafen sich die FDA, EFSAund Health Canada zu dem Thema und im Mai 2010 lädt die EFSA internationale Industrievertreter, Verbraucherverbände und Lebensmittelbehörden zu einem Summit nach Parma, Italien (EFSA Health Claims Summit) . Eine kurzfrisitge Annäherung der unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden und gesetzlichen Verordnungen zur Verifizeirung von Health Claims ist aber nicht in Sicht.
Christine Wezel